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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 04.01.2002
Aktenzeichen: 21 U 4124/00
Rechtsgebiete: BGB, AGBGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 765
AGBGB § 9 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 711
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 21 U 4124/00

Verkündet am: 4. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 21. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Schlenger, die Richterin am Kammergericht Neubauer und den Richter am Amtsgericht Weyrich für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 35 des Landgerichts Berlin vom 4. April 2000 - 35 O 398/99 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte diese Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Bürgin für Verbindlichkeiten ihres Ehemannes in Anspruch.

Die Beklagte war seit Oktober 1991 Inhaberin eines Sanitär-Einzelhandelsgeschäftes in . Im November 1992 eröffnete sie ein weiteres Einzelhandelsgeschäft in . In Zusammenhang mit der Eröffnung dieses Geschäftes war die Beklagte Eigenverbindlichkeiten in Höhe von 241.000,00 DM eingegangen, die am 1. November 1993 noch in Höhe von 150.000,00 DM zuzüglich eines Betrages aus einem Eigenkapitaldarlehen der Beklagten valutierten und mit Zinssätzen zwischen 9,75 und 13 % zu verzinsen waren. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darlehensverträge vom 17. November 1992 (Bl. 128-132 d.A.) Bezug genommen.

Der Ehemann der Beklagten mietete ab dem 4. Oktober 1993 in der Berliner Markthalle am Alexanderplatz in Berlin-Mitte ein Ladengeschäft. Hierzu stellte die Klägerin ihm mehrere Kredite zur Verfügung: ein ERP-Darlehen über 102.000,00 DM mit einem Zinssatz von 5,5 %, einen Kontokorrentkredit über 10.000,00 DM mit einem Zinssatz von 10 %, einen Tilgungskredit über 31.100,00 DM mit einem Zinssatz von 5,5 %. Des Weiteren übernahm die Klägerin eine Vorfinanzierung eines Eigenkapitalhilfedarlehens der Deutschen Ausgleichsbank an den Ehemann der Beklagten über 71.000,00 DM mit einem Zinssatz von 5,5 %.

Am 13. Oktober 1993 übernahm die Beklagte für alle bestehenden und künftigen Forderungen der Klägerin gegen den Ehemann der Beklagten eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft in Höhe von 200.000,00 DM.

Die Beklagte schloss ihr Geschäft in am 1. Juni 1994, nachdem es aufgrund von langwierigen Bauarbeiten in der Umgebung unrentabel geworden war. Der Warenbestand wurde in das Geschäft ihres Ehemannes übernommen. Seit September 1994 bis zum 31. Mai 1996 war die Beklagte bei ihrem Ehemann angestellt und bezog ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 1.500,00 DM beziehungsweise ein monatliches Nettogehalt von 1.194,25 DM. Ab dem 1. Juni 1996 bezog sie Arbeitslosengeld in Höhe von 186,00 DM wöchentlich und ab dem 2. September 1996 in Höhe von 167,40 DM wöchentlich.

Im Gewerbesteuerbescheid des Finanzamtes Mitte vom 18. November 1994 ist ein Verlust der Klägerin aus dem Betrieb eines Gewerbes in Höhe von 80.524,00 DM für das Jahr 1993 ausgewiesen.

Im Jahre 1996 erfolgte eine Aufgliederung der ursprünglich abgegebenen Bürgschaftserklärung der Beklagten über 200.000,00 DM dahingehend, dass die einzelnen dem Ehemann der Beklagten gewährten Kredite durch jeweils gesonderte Bürgschaften gesichert werden sollten. Am 29. Juli 1996 unterzeichnete die Beklagte dabei selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaften über 102.000,00 DM, 26.480,00 DM und 6.002,00 DM, die einzelne ERP-Kredite und einen Tilgungskredit sichern sollten, welche die Klägerin dem Ehemann der Beklagten eingeräumt hatte und die in dieser Höhe jeweils noch valutierten. Zuvor hatte die Beklage unter anderem am 1.4.1996 eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft über 16.000,00 DM unterzeichnet, die sich auf den ihrem Ehemann gewährten Kontokorrentkredit bezog, der zum damaligen Zeitpunkt mehr als 16.000,00 DM betrug.

Da der Ehemann der Beklagten die fälligen Darlehensraten hinsichtlich des Darlehens über 102.000,00 DM nicht ausglich, stellte die Klägerin dieses Darlehen mit einem Sollsaldo in Höhe von 83.438,39 DM fällig.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf einen erststelligen Teilbetrag von 50.000,00 DM aus der Höchstbetragsbürgschaft über 102.000,00 DM vom 29. Juli 1996 in Anspruch.

Sie hat erstinstanzlich behauptet, dass die Beklagte bis zur Geschäftsaufgabe im Januar 1998 im Geschäft ihres Ehemannes angestellt gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, wie eine Gesamtschuldnerin mit 50.000, 00 DM nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank vom 22.Januar 1998 bis 31. Dezember 1998 und 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Januar 1999 an sie zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich behauptet, ihr Ehemann habe ihr zum 1. Juni 1996 gekündigt, weil er die Lohnkosten nicht mehr habe finanzieren können. Sie hat die Ansicht vertreten, dass der Bürgschaftsvertrag vom 29. Juli 1996 sittenwidrig sei.

Die Zivilkammer 35 des Landgerichts Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 4. April 2000 - Az. 35 O 398/99 -, auf welches wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 89 - 95 d.A.), unter Abweisung von Zinsen für den Zeitraum vom 22. Januar bis 20. März 1998 antragsgemäß verurteilt.

Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen diese Verurteilung. Sie ist der Ansicht, dass für die Frage der Sittenwidrigkeit nicht auf die Bürgschaft vom 13. Oktober 1993, sondern auf die Bürgschaft vom 29. Juli 1996 abzustellen sei. Sie behauptet, im Jahre 1993 einen Verlust von 86.046,00 DM erwirtschaftet zu haben. Die Klägerin habe ihre finanzielle Situation gekannt.

Die Beklagte beantragt,

das am 4. April 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, Az.: 35.O.398/99, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass für die Frage der Sittenwidrigkeit auf die Bürgschaft vom 13. Oktober 1993 abzustellen sei. Sie habe die Beklagte als Unternehmerin gekannt, die eine eigene Existenz aufgebaut habe, der laufend Finanzierungshilfe für den Aufbau dieser Existenz gewährt worden und die deshalb unbestreitbar als leistungsfähig für die übernommenen Bürgschaftsverpflichtungen angesehen worden sei. Auf die spätere Entwicklung komme es nicht an. Nach Schließung des Geschäfts in der seien die Eigenverpflichtungen der Beklagten teilweise von ihrem Ehemann übernommen worden. Teilweise seien diese Verbindlichkeiten in Geschäftskredite beider Eheleute umgewandelt worden. Für die von ihrem Ehemann übernommenen Verbindlichkeiten habe sie sich ebenfalls verbürgt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 4. Januar 2002 hat die Beklagte die Ansicht vertreten, dass der Gewerbesteuerbescheid wenig aussagekräftig sei, da es der Beklagten durch die Anschaffung eines Gegenstandes, beispielsweise eines LKW unschwer möglich gewesen sei, einen entsprechenden Verlust darzustellen, ohne tatsächlich einen Verlust erlitten zu haben. Bei der Höhe des Verdienstes, den die Beklagte von ihrem Ehemann erhalten habe, sei im übrigen zu berücksichtigen, dass der Gewinn ihres Ehemannes auch ihr zugute gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle der Zivilkammer 35 des Landgerichts Berlin vom 3. März 2000, 24. März 2000 und 4. April 2000 sowie auf das Sitzungsprotokoll des 21. Zivilsenats des Kammergerichts vom 4. Januar 2002 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

I. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Zahlung eines erststelligen Teilbetrages in Höhe von 50.000,00 DM (= 25.564,59 Euro) in Verbindung mit der Höchstbetragsbürgschaft über 102.000,00 DM vom 29. Juli 1996 aus § 765 BGB zu.

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten verstößt die Höchstbetragsbürgschaft vom 29. Juli 1996 nicht dadurch gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, dass die Hauptschuld nicht betragsmäßig bzw. durch Kennzeichnung des Kreditkontos näher in der Bürgschaftsurkunde gekennzeichnet worden ist. Denn die Hauptschuld ist hinreichend bezeichnet, wenn sie nach Art und Umfang gegebenenfalls durch Auslegung bestimmbar ist (BGHZ 130, 19; Palandt, BGB, 60. Aufl., § 765 Rn. 7). Die in der Bürgschaftsurkunde aufgenommene globale Zweckerklärung "...zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Verpflichtungen aus einer" Geschäftsverbindung ist diesbezüglich ausreichend.

2. Jedoch verstößt die entsprechende formularmäßige globale Zweckerklärung gegen das Transparenzgebot und ist daher nach § 9 Abs. 1 AGBGB unwirksam (BGH, NJW 2000, 658, 659f = WM 2000,64).Rechtsfolge der Unwirksamkeit der formularmäßigen globalen Zweckerklärung ist, dass der Bürge im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung nur für diejenige Forderung einzustehen hat, die Anlass der Bürgschaftsübernahme war. Dies war vorliegend das ERP-Darlehen des Ehemannes der Beklagten über 102.000,00 DM mit der Konto-Nr. 4701392.

3. Eine Haftung der Beklagten scheitert aber daran, dass die Bürgschaftsübernahme wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist (§ 138 Abs. 1 BGB).

a) Eine Ehegattenbürgschaft, die den Bürgen krass überfordert, ist in der Regel sittenwidrig, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen (BGH, NJW 1999, 2584; NJW 2000, 1182). Eine krasse Überforderung liegt vor, wenn der Bürge zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag (BGHZ 135, 66,70; BGH, NJW 2000, 1182).

b) Dies ist vorliegend der Fall. Dabei darf die Übernahme der streitgegenständlichen Bürgschaft nicht isoliert betrachtet werden. Denn sie wurde aus der am 13. Oktober 1993 von der Beklagten übernommenen Bürgschaft über 200.000,00 DM ausgegliedert. Die Bürgschaft über 102.000,00 DM teilt deshalb die Bewertung der Bürgschaft über 200.000,00 DM.

Die Übernahme der Bürgschaft vom 13. Oktober 1993 überforderte die Beklagte jedoch krass und war daher sittenwidrig.

Denn die Beklagte hatte zum damaligen Zeitpunkt eigene Kreditschulden aus der am 17. November 1992 erfolgten Aufnahme von Krediten über 241.000,00 DM. Ohne das Eigenkapitaldarlehen der Beklagten valutierten diese Kredite am 1. November 1993 noch in Höhe von 150.000,00 DM bei einer Verzinsung zwischen 9,75 % und 13 % per annum.

Des Weiteren hatte die Beklagte für das Jahr 1993 aus ihren Geschäften einen Verlust von zumindest ca. 80.000,00 DM erwirtschaftet. Dies folgt aus dem Gewerbesteuerbescheid des Finanzamtes Mitte für das Jahr 1993 vom 18. November 1994, welcher einen entsprechenden Verlust ausweist. Soweit die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 4. Januar 2001 erstmals behauptet hat, dass eine entsprechende Verlustausweisung auf einen Kauf eines teuren Betriebsmittels, etwa eines LKWŽs, zurückzuführen sein könne und es sich daher nicht um einen tatsächlichen Verlust in dieser Größenordnung gehandelt habe, fehlen entsprechende konkrete Anhaltspunkte, dass dies tatsächlich der Fall war. Vielmehr spricht der Umstand, dass die Beklagte auch nach der Behauptung der Klägerin ihr Geschäft in zum 1. Juni 1994 schließen musste, nachdem es aufgrund langwieriger Bauarbeiten in der Umgebung unrentabel geworden war, dafür, dass die Beklagte bereits 1993 entsprechende Probleme hatte und aus diesem Grund 1993 den oben aufgeführten Verlust erwirtschaftete.

Damit war aber bereits bei Übernahme der Bürgschaft vom 13. Oktober 1993 klar, dass die Beklagte weder Zinsen noch Tilgung der Darlehen ihres Ehemannes aufbringen konnte. Dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt noch in der Lage gewesen sein soll, ihre Eigenkredite zu bedienen, ändert an diesem Ergebnis nichts. Sie war zumindest nicht mehr in der Lage, zusätzliche Zinsbelastungen in Höhe von ca. 935,00 DM monatlich zu tragen.

Dem steht nicht entgegen, dass der Ehemann der Beklagten einen Teil von deren Eigenverbindlichkeiten übernommen hat, nachdem diese das Geschäft in zum 1. Juni 1994 aufgegeben hatte. Denn die teilweise Übertragung der Eigenverbindlichkeiten der Beklagten erfolgte nach dem für die Frage der Sittenwidrigkeit maßgeblichen Datum der Übernahme der Bürgschaft vom 13. Oktober 1993.

II. Mangels Hauptforderung ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, die von der Klägerin geforderten Zinsen zu zahlen.

III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 ZPO zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO n. F. zuzulassen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n. F.), da die angeschnittenen Rechtsfragen bereits höchstrichterlich entschieden sind.

Auch die Fortbildung des Rechts beziehungsweise die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n. F.) erfordern nicht die Zulassung der Revision. Denn bezüglich der streitgegenständlichen Rechtsfragen ist eine Rechtsprechungsdivergenz nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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